Traumasensible Begleitung

Wenn wir über traumasensible Begleitung sprechen, macht es Sinn, sich kurz mit dem Grundthema „Trauma“ auseinander zu setzen. Traumasensible Begleitung ist keine Traumatherapie. Ziel ist nicht die primäre Traumaheilung, sondern die Fähigkeit der Selbstregulation, der Stabilität und der inneren Sicherheit zu entwickeln um seine eigene Basis stabil halten zu können.

Wie läuft die Verarbeitung eines herausragenden Ereignissens, eines Traumata unter biologischem Aspekt gesund ab?

Grundlegend können wir festhalten, dass wir Menschen biologisch gut ausgestattet sind, um mit Stress, Herausforderungen und auch Bedrohungssituationen gut umgehen zu können. In unserer Biologie ist es angelegt, dass wir mit Hochstress umgehen und uns auch wieder einem „normalen“ Leben zu wenden können.
In unserer Evolution gab es immer Naturkatastrophen, Hungersnöte, Eiszeiten. Es gab herausfordernde Situationen für uns Menschen, die im Sinne eines Traumata auf uns eingewirkt haben. So hat uns die Natur mit vielen Mechanismen für das Überleben unter widrigen Umständen ausgestattet.

Unsere Biologie verfügt über unterschiedliche unwillkürliche Bewältigungsstrategien und auch Regulationsmechanismen. Dies hat dazu geführt, dass die Menschheit harte und karge Zeiten überlebt hat und sich weiterentwickeln konnte.

Eine gesunde Verarbeitung von Herausforderungen läuft in der Regel wie folgt ab:
Äußerliche Reize und innerliche Reaktionen ergeben zusammen ein schlüssiges Bild, wenn diese Erfahrung verarbeitet ist. So bekommt sie in unserer Erinnerung einen Anfang, einen Verlauf, ein Ende und wenn sie emotional wichtig ist auch eine Bedeutung. Die von unserem Körper bereitgestellte Energie für die Herausforderung wird abgebaut und der Mensch kann körperlich und psychisch wieder auf „Normalstellung“ zurückfahren.

Wie kommt es nun zu einem Trauma mit Folgestörung?

Erleben wir eine Herausforderung im Sinne von äußeren Einflüssen (Naturkatastrophen, etc.) oder Man-made-trauma (psychische und/ oder körperliche Gewalteinwirkung) erfahren wir oft starke Gefühle von Ausgeliefertsein, Ohnmacht, Hilflosigkeit. Dann sprechen wir von einem Trauma. (Das Wort „Trauma“ stammt ursprünglich aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde“. Im psychologischen Kontext beschreibt es jedoch nicht nur körperliche Verletzungen, sondern vor allem seelische und emotionale „Verwundungen“.) Die betroffene Person ist emotional und körperlich nicht in der Lage, auf das Ereignis angemessen zu reagieren. Durch diesen Stress entsteht ein Zustand, in dem die natürlichen Bewältigungsmechanismen überfordert sind.

Ob sich aus einem Trauma dann Traumafolgestörungen entwickeln ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Nicht jedes Trauma wird zur PTBS. Kann der Mensch das Trauma verarbeiten, sprich in sein Leben integrieren, erhält er Unterstützung, Raum und Hilfe für seine Anliegen kann eine Folgestörung ausbleiben.


Bei Nicht-Integration treten unterschiedliche Folgen und körperliche und psychische Beschwerden auf. Dies bedeutet, dass dieses Ereignis Spuren hinterlassen hat, die so schmerzhaft sind, dass ein Mensch allein Mühe hat, das Erlebte zu verarbeiten.

Psychische Probleme können sein: Angst oder Panik, sich Sorgen machen, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Ärger und Wut, Scham- und Schuldgefühle, Ekel und andere belastende Gefühle.

Körperliche Probleme können sein: Schmerzen, Erschöpfung, Schwindel, Verdauungsprobleme, Beschwerden im Bereich des Herzens, der Atmung sowie des Harn- oder Genitaltraktes.

Diese Symptome können z.B. durch Trigger ausgelöst werden. Mit Trigger sind Reize von außen gemeint, die eine Ähnlichkeit mit gewissen Bereichen des traumatisierenden Ereignisses haben. Sie können daher belastende Erinnerungen an das traumatisch Erlebte auslösen. Trigger können sein: Situationen, Personen oder Gegenstände, oder auch spezielle Geräusche, Gerüche und Empfindungen.

Traumata wirken sich sowohl auf das Gehirn als auch auf den Körper aus. Neurowissenschaftliche Forschungen zeigen, dass Traumata das Nervensystem beeinflusst und die Fähigkeiten des Einzelnen Emotionen zu regulieren, Situationen angemessen der Umstände einzuschätzen, Erinnerungen zu verarbeiten, in sichere Bindung zu gehen und Erinnerungen zu verarbeiten beeinträchtigen kann.

Akutes Trauma bezieht sich auf eine einmalige, belastende Erfahrung, wie z. B. ein Autounfall, ein Überfall oder eine Naturkatastrophe. Diese Art von Trauma entsteht durch ein spezifisches Ereignis und kann sich in Form von posttraumatischem Stress (PTBS) manifestieren, der jedoch oft besser auf Behandlungen anspricht als komplexe oder chronische Traumata.

Chronisches Trauma beschreibt eine Serie von belastenden oder traumatischen Ereignissen über einen längeren Zeitraum. Dazu zählen beispielsweise Missbrauch, häusliche Gewalt oder Mobbing. Da das Nervensystem ständigem Stress ausgesetzt ist, kann ein chronisches Trauma tiefgreifende, langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.

Komplexes Trauma tritt auf, wenn eine Person wiederholt oder über längere Zeit hinweg traumatisierende Erlebnisse durchmacht, oft in einer Umgebung, der sie sich nicht entziehen kann, wie z. B. bei langanhaltender Vernachlässigung oder Misshandlung in der Kindheit. Diese Art von Trauma betrifft oft grundlegende Entwicklungsprozesse und beeinflusst die Selbstwahrnehmung, das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, gesunde Beziehungen aufzubauen.

Entwicklungstrauma, eine Unterform des komplexen Traumata, entsteht während der Kindheit durch wiederkehrende, belastende Erfahrungen, die grundlegende Bindungsmuster und das Urvertrauen beeinträchtigen. Fehlende Fürsorge oder Vernachlässigung führen dazu, dass das Nervensystem übererregt ist und das Kind eine mangelnde Sicherheit empfindet. Dies kann das Verhalten, die emotionale Stabilität und das Bindungsverhalten im Erwachsenenalter beeinflussen.

Sekundäres Trauma tritt auf, wenn eine Person durch die Berichterstattung oder das Miterleben des Traumata anderer belastet wird. Dieses Phänomen betrifft oft Menschen in sozialen Berufen, wie Therapeuten, Sozialarbeiter und Notfallhelfer, die regelmäßig mit traumatisierten Personen arbeiten.

Transgeneratives Trauma beschreibt die unbewusste Weitergabe traumatischer Erfahrungen über Generationen hinweg. Traumata der Vorfahren – etwa Krieg, Flucht oder Gewalt – können sich auf Nachkommen auswirken, etwa durch Ängste, Scham oder Beziehungsmuster. Diese „vererbten“ Prägungen lassen sich therapeutisch erkennen und lösen.

Was sind Traumafolgestörungen

Traumafolgestörungen haben weitreichende Auswirkungen auf Körper, Geist und Verhalten. Die Reaktionen können sofort auftreten oder sich über Monate oder Jahre hinweg entwickeln und umfassen ein breites Spektrum an körperlichen, psychischen und sozialen Symptomen. Die Hauptfolgen lassen sich in folgende Bereiche gliedern:

Die körperlichen Auswirkungen von Trauma können vielfältig sein und oft mit einer konstanten Überaktivität des sympathischen Nervensystems einhergehen. Häufige körperliche Symptome sind:

  • Chronische Schmerzen, insbesondere im Rücken, Kopf und Bauch
  • Schlafstörungen und chronische Erschöpfung
  • Veränderungen im Appetit und Verdauungsprobleme
  • Übererregbarkeit und erhöhte Wachsamkeit
  • Hormonelle und immunologische Dysregulation, was die Anfälligkeit für Krankheiten erhöhen kann.

Diese körperlichen Symptome entstehen oft durch das sogenannte „Kampf- oder Fluchtverhalten“, das durch ein traumatisches Erlebnis ausgelöst wird und das Nervensystem in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft hält.

Die psychischen Folgen von Trauma sind tiefgreifend und vielfältig. Sie umfassen u.a.:

  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): PTBS ist eine häufige Reaktion auf akutes oder chronisches Trauma und ist gekennzeichnet durch wiederkehrende Erinnerungen, Albträume und starke emotionale Reaktionen.
  • Depression und Angst: Trauma kann eine langanhaltende Depression und erhöhte Ängstlichkeit verursachen.
  • Dissoziation: Infolge schwerer Traumata kann es zur Dissoziation kommen, bei der die Person sich vom eigenen Körper und der Realität distanziert fühlt.
  • Selbstwertprobleme: Vor allem bei komplexem oder Entwicklungstrauma entwickeln viele Betroffene ein geringes Selbstwertgefühl und eine negative Selbstwahrnehmung.
  • Emotionale Labilität: Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Probleme bei der Emotionsregulation sind ebenfalls häufig.

Verhaltensbezogene und soziale Folgen

Die sozialen und verhaltensbezogenen Auswirkungen von Trauma können sich auf die Beziehungen und das soziale Leben des Einzelnen auswirken. Typische Verhaltensweisen und Herausforderungen sind:

  • Bindungsprobleme: Menschen mit Trauma können Schwierigkeiten haben, Vertrauen aufzubauen und gesunde Beziehungen zu führen. Sie neigen zu Vermeidungsverhalten oder Abhängigkeiten in Beziehungen.
  • Suchterkrankungen: Viele Trauma betroffene entwickeln Suchterkrankungen als Bewältigungsmechanismus, um den emotionalen Schmerz zu lindern.
  • Hypervigilanz und Reizbarkeit: Betroffene zeigen oft übersteigerte Wachsamkeit, sind leicht reizbar und haben Probleme, sich zu entspannen.
  • Vermeidungsverhalten: Aus Angst vor retraumatisierenden Situationen meiden viele Menschen Orte, Aktivitäten oder Personen, die sie an das Trauma erinnern könnten.

Die Heilung von Trauma erfordert eine vielschichtige Herangehensweise, da Trauma tief in den Körper und Geist eingreift. Einige Ansätze zur Traumabewältigung sind:

  1. Therapieformen: Verschiedene Therapieformen, wie die kognitive Verhaltenstherapie (CBT), die EMDR-Therapie (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), körperorientierten Traumatherapien wie Somatic Experience und die traumasensible Begleitung haben sich als wirksam erwiesen. Diese Methoden helfen dem Betroffenen, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten und neue Bewältigungsmechanismen zu entwickeln.
  2. Achtsamkeit und Meditation: Achtsamkeitstechniken helfen dabei, sich auf den Moment zu konzentrieren und den Körper zu beruhigen. Besonders bei Traumaopfern kann dies die Kontrolle über das Nervensystem fördern.
  3. Körperarbeit: Da Trauma oft auch im Körper „gespeichert“ wird, können Techniken wie Yoga, Atemübungen und somatische Therapien helfen, die körperlichen Spannungen zu lösen.
  4. Soziale Unterstützung: Der Aufbau stabiler, unterstützender Beziehungen ist entscheidend für die Traumaheilung. Unterstützung durch Familie und Freunde kann das Vertrauen und die emotionale Sicherheit fördern.

Trauma ist ein komplexes und tiefgreifendes Phänomen, das jeden Bereich des Lebens einer Person beeinflussen kann. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Traumaarten – von akutem bis zu komplexem Trauma – verdeutlichen, wie vielseitig und individuell die Auswirkungen sein können. Die Folgen von Trauma betreffen sowohl körperliche als auch psychische und soziale Aspekte und sind oft über einen langen Zeitraum spürbar. Die Heilung ist möglich, erfordert jedoch eine nachhaltige und individuelle Herangehensweise, die körperliche, emotionale und soziale Komponenten berücksichtigt.